Catherine Louis

30. Mai 2019


Catherine Louis
«Le petit chaperon chinois» von Marie Sellier und Catherine Louis, © Picquier jeunesse 2010, ISBN : 978-2-8097-1264-3

Die Schweizer Illustratorin Catherine Louis ist 1963 in La Neuveville geboren und lebt und arbeitet heute in La Chaux-de-Fonds.
Beim Recherchieren staunte ich: Catherine Louis hat über 120 Bücher gestaltet oder mitgestaltet. Viele davon sind heute vergriffen. Sie arbeitet mit ganz verschiedenen Techniken: Aquarell, Scherenschnitt, Collage, Druckverfahren, ins Bild integrierte Objekte… und sie lässt sich immer wieder auf neue Themen und Projekte ein. So viele schöne Bilder, so viele kreative Ideen! Es fiel mir nicht leicht, mich für ein Werk zu entscheiden, mit dem ich etwas machen möchte.

Meine Wahl fiel dann auf «Le petit chaperon chinois», eine chinesische Variante des Rotkäppchens, mit dem Text von Marie Sellier. Die Erstausgabe dieses Buches bestand aus einem langen Scherenschnittstreifen, zum Leporello gefaltet. Die Produktion dieses Buches ist laut Auskunft von Catherine Louis jedoch zu teuer. Die Ausgabe, welche heute erhältlich ist, hat keine «Löcher», sondern zeigt die schwarzen Scherenschnitte auf rotem Hintergrund – mit einer weissen Linie, welche der Grafiker eingefügt hat – «um einen Effekt zu erzielen», den Catherine Louis allerdings nicht besonders gelungen findet.

Meine Drittklässler hatten im Englischunterricht das Märchen «Little Red Riding Hood» behandelt. Da lag es auf der Hand, dass wir uns mit verschiedenen Varianten des Märchens befassten. Über die beiden Fassungen des «Petit chaperon rouge» von Charles Perrault und Paul Delarue gelangten wir zum «Petit chaperon chinois». Der Geschichte liegt übrigens tatsächlich eine traditionelle chinesische Variante des Märchens zu Grunde. Marie Sellier fand diese jedoch zu grausam und passte sie für heutige Kinderohren an. Eine gewisse Grausamkeit blieb jedoch erhalten: Die drei Enkelinnen überstehen das Abenteuer, der Wolf hat seinen Tod verdient, aber die Grossmutter ist und bleibt tot. Die verschiedenen Grausamkeitsstufen der Märchenvarianten gaben bei meinen Schülern einiges zu diskutieren.

Die Geschichte ist zudem mit den alten chinesischen Zeichen für ausgewählte Schlüsselwörter angereichert. Die Kinder interessierten sich für diese Zeichen und auch für den eigenartigen Umstand, dass die Übersetzung nicht auf Deutsch sondern auf Französisch geliefert wird 😉

Catherine Louis’ Rotkäppchen-Illustrationen sind grosszügig, aufs Wesentliche reduziert und zeigen doch alle wichtigen Details. Sie animieren zum Nachahmen. Die Kinder fertigten ein paar Skizzen an: Welche Szene aus welcher Fassung des Märchens soll dargestellt werden?

Ein A3-Blatt wurde mit der Rolle schwarz, ein anderes rot eingefärbt. Schliesslich wurde die gewünschte Skizze in gross auf die Rückseite des schwarzen Blattes übertragen und mit dem Cutter ausgeschnitten. Die Vorgabe war, dass alle Teile des schwarzen Scherenschnitts an einem Stück und mit dem Rahmen verbunden sein sollen. Dies war nicht ganz einfach – an einigen Stellen mussten die Stücke auf der Rückseite wieder mit Klebstreifen verbunden werden. Ich wies die Kinder darauf hin, sie müssten in «Löchern» denken, nicht in Linien.

Die Resultate waren eindrücklich: Die Kombination rot/schwarz wirkt kraftvoll und intensiv, die Kinder stellten gefährliche Wölfe dar, aber auch die Szene des Rotkäppchens (oder der Grossmutter) auf dem Weg und das Haus im Wald waren beliebt.

Die Aufgabe, die meine Drittklässler hier bewältigten, war anspruchsvoll. Ein Motiv zu gestalten, das aus einem einzigen Stück besteht und dieses spiegelbildlich mit dem Cutter auszuschneiden, verlangt einiges an Planung und manuellem Geschick. Ich kann mir vorstellen, dass eine ähnliche Arbeit auch mit jüngeren Kindern möglich wäre, wenn mit der Schere geschnitten würde und das Bild aus verschiedenen Teilen bestehen dürfte.

Häufig arbeiten wir Leseanimatorinnen mit dem Inhalt einer Geschichte. Diesmal lag der Fokus auf der Illustration. Meine Drittklässler haben eine Illustratorin kennengelernt, Bilder genau betrachtet, selber ein Motiv entworfen und in der Scherenschnitt- und Collagetechnik umgesetzt. Bestimmt ist ihnen dabei auch bewusst geworden, dass hinter jedem Bilderbuch Menschen stehen, welche sich den Text ausdenken und die Bilder in Handarbeit herstellen.

Auf Deutsch sind im Moment die folgenden Bücher von Catherine Louis erhältlich:
-Mit Theo in Bern ISBN 978-3-03797-046-1
-Theo in Zug ISBN 978-3-03797-197-0

Wer noch mehr über Catherine Louis erfahren möchte, kann sich die Radiosendung «Vertigo» vom 18. Dezember 2018 anhören:
https://pages.rts.ch/la-1ere/programmes/vertigo/10043423-vertigo-du-18-12-2018.html oder Catherine Louis’ Homepage ansehen: http://catherinelouis.ch

Franziska Honegger Roth, Leseanimatorin SIKJM